Die jüngsten Ereignisse und die aktuelle weltweite Krise erteilen uns eine Lektion nach der anderen und es warten noch einige weitere Lehrstunden auf uns: Lehrstunden, die in Form von riesigen Wellen über uns hereinbrechen werden. Sie können uns entweder unter Wasser spülen oder aber wir lernen, ihren Rhythmus zu erfühlen und nehmen unseren ganzen Mut zusammen. Denn dann sind wir in der Lage, diese Wellen zu surfen.
Otto Scharmer (Senior Lecturer at MIT and Founder of Presencing Institute) schrieb in einem Blogbeitrag von einer Lektion, die wir gerade durch das Coronavirus lernen: “We are many. We are one”. Das Virus zeigt uns deutlich wie sehr wir alle miteinander verbunden sind und wie viele wir doch rund um den Globus sind.
Die Frage, die sich mir aufdrängt ist: Was tun wir nun mit diesem Wissen?
Emotionen in der Krise: Wir haben die Wahl
Die Emotionalität unter uns ist in diesen Tagen hoch und gleichzeitig extrem unterschiedlich: Angst, Wut, Ohnmacht, Neugierde, Aufgeregtheit und Hilflosigkeit bis hin zur Freude begleiten uns gegenwärtig. Aber wie gehen wir mit diesen unterschiedlichen Gefühlen um? Landen wir im sogenannten „Flight, Fight, Freeze Modus“ oder wenden wir uns bewusst der kreativen Energie zu, um daraus etwas Neues entstehen zu lassen?
Im „Flight-Fight-Freeze-“ und somit Überlebensmodus sind wir nahezu bewegungs- und handlungsunfähig während unser Sichtfeld aufgrund der Emotionalität massiv eingeschränkt ist und Angst vorherrscht. Angst kann in der richtigen Portion zwar hilfreich sein, aber dazu ist ein geschulter Geist nötig, der uns nicht immer wieder in die emotionale Irre führt. Um sich stattdessen dem kreativen Modus zuzuwenden, braucht es eine ganze Menge Mut. Denn Kreativität bedeutet, dass ich mich auf unbekanntes Terrain begebe. Dieser Schritt führt bei vielen wiederum zu Unsicherheiten. Die Lösung ist, sich ganz in die neue und unbekannte Situation hineinzubegeben – also enorm mutig zu sein, um von der Ohnmacht in die Selbstführung zu gelangen.
Negative Gefühle loslassen, den Prozess der Heilung anstoßen
„We are many. We are one.” Wir erleben gerade kollektiv und umfänglich, dass wir fast alles von dem loslassen mussten, was wir glaubten zu sein: unbesiegbar, sicher, frei, unabhängig und so weiter. Wir haben damit unsere Identität aufgeben müssen, doch gleichzeitig entsteht in diesem größten Schmerz und Verlust auch etwas Neues.
Aber wie kann sich das Neue zeigen? Zuallererst muss der Verlust, der Schmerz und die Trauer akzeptiert werden. Der Schmerz und die Trauer kommen hierbei in Wellen – ich selbst habe in den letzten Wochen schon einige solcher Wellen hinnehmen müssen. Es geht um die Akzeptanz dessen was ist und darum, mir selbst mit meinem Ego nicht im Weg zu stehen. Akzeptanz bedeutet nämlich auch, das eigene Ego sterben zu lassen. Es geht darum, offen für die eigenen Gefühle zu sein und damit den Prozess der Heilung beginnen zu können. Wir müssen durch unsere Gefühle hindurch gehen und uns nicht darin verhaften oder gar mit den negativen Gefühlen verschmelzen: Transformation entsteht durch die Bewegung und durch das Gefühl. Erlauben wir uns, gemeinsam durch dieses Gefühl hindurch zu schreiten und damit loszulassen.
Eine neue Art der Verbundenheit
„We are many. We are one.” Diese beiden Sätze stehen für Vernetzung und Verbundenheit. Gerade jetzt sehen wir die Bedeutung von tiefen menschlichen Verbindungen und deren Wert. Wie sehr fehlen auch mir persönliche Begegnungen und wie sehr vermisse ich eine innige Umarmung. Doch in dieser plötzlich distanzierten Welt erlebe ich gleichzeitig eine neue Art der Verbundenheit.
Natürlich kann das Internet keine Umarmung ersetzt, aber es kann trotzdem tiefe menschliche Begegnung und Verbindungen ermöglichen. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Die Pandemie hat vieles möglich gemacht, was uns zuvor schier unmöglich erschien. Ein neuer Geist ist erwacht und mit ihm neue Werte wie Nachbarschaftshilfe, Rücksichtnahme, Zurückhaltung, Geduld und Innehalten. Wir haben nun die Chance im neuen Sein anzukommen und vielleicht hilft uns dieses wunderbare Bild, um Jetzt und in der Zukunft die Wellen surfen zu können.
Herzliche Grüße
Jacqueline Groher
Quelle: In Anlehnung an: Rielaborazione ufficio studi Mezzopieno.org per "i 52 passi